Der Preis
R.F. Schmacke
Ich pfeife auf den Preis. Ich pfeife auf alle Jurys, die Jungfilmern Preise verleihen, und rühre keine Kamera mehr an. Obwohl ich das Geld dringend nötig hätte Für mich ist das blutiges Geld, weil das Blut von Heinz dranklebt. Ich frage mich allerdings: Was hätte Heinz wohl damit gemacht, wenn es mich erwischt hätte? Denn genausogut hätte ich dran glauben können.
Aber er hatte ja die Idee gehabt: Unterwasser-Filme drehen, drei Monate am Roten Meer, Ausbildung zum Kameramann vor Ort. Bombengage. Da konnte man doch nicht nein sagen. Es war auch wirklich toll: das Hotel direkt am Meer, Zimmer airconditioned, mit allem Komfort, und das Tauchen und Filmen - ich hätte nie gedacht, wie schön es unter Wasser ist. Schwerelos wälzt man sich im warmen Wasser, dringt ein in grüne Algenwälder und rote Korallengärten, und Fischschwärme umgeben dich wie bunte Wolken - eine faszinierende stille Welt für sich!
Manchmal wollte ich gar nicht wieder hoch in die Hitze da oben. Aber mit der Tauchzeit war unser Lehrer ziemlich genau:
"Seien Sie vorsichtig, Sie müssen sich erst an alles gewöhnen! Die Deko-Zeit pro Tag addieren! Immer zusammenbleiben! Entfernen Sie sich nicht aus der Deckung des Riffs!"
Jeden Tag die gleichen Sprüche.
Mehr als einmal mußten wir eine Rüge einstecken, weil wir zu lange unten blieben. Als ob die von ein paar Filmmetern zuviel pleite machten. Und Taucherkribbeln? Abends an der Hotel-Bar verspürte ich beim Campari-Orange ein anderes Kribbeln.
Erzählt haben sie viel, die Herren von der Filmgesellschaft, aber leider nicht alles!
Das merkten wir am Dienstag - ich weiß noch genau, wann das war - am 42. Tauchtag, als der große Hai kam. Wir waren überrascht, denn sie hatten gesagt, daß bis ans Riff, wo wir filmten, keine gefährlichen Haie hinkämen Überrascht sage ich, weil wir keine Angst hatten. Es hieß, Haie greifen nur dann an, wenn man sich nervös bewegt und zappelig wird.
Der Hai hatte mehr als vier Meter Länge, ein Mordsvieh! Natürlich haben wir ihn gefilmt. Ich gebe zu, daß mir dabei das Herz klopfte. Richtig heiß wurde mir, als er uns wie ein Unterseeboot umkreiste, oben grau, unten hell, mit eigenartig starren Augen. Ich holte ihn mit dem Zoom ganz nah heran. Er schien mit der Nase in die Kamera zu stoßen, kam glotzäugig immer näher, drehte seitlich ab, zeigte seine seidig-weiße Bauchseite, kehrte neugierig zurück, und als ich das riesige Maul sah mit den Zähnen wie Messer, spürte ich auf meinem Rücken eine Gänsehaut.
Ich weiß nicht mehr genau, was ich in der Situation alles gedacht habe.
Vielleicht: schade, daß ich nicht beide zugleich draufkriege, den Hai zusammen mit Heinz. Eigentlich ein schönes Tier, und was für ein eleganter Schwimmer! Großer, stummer Fisch, bist du glücklicher als wir? Man sagt, du könntest niemals schlafen, immer hungrig, immer auf Wanderschaft Ob sie ihn mir herausschneiden? Jetzt zieht er ab. Heinz sollte ihm nicht nachschwimmen. Sie hab doch gesagt: Bleibt ruhig an der Riffwand in Deckung, wenn einmal ein Hai kommt. Schon ist er verschwunden in der blauen Tiefe. Heinz, komm zurück, it's tea-time. Nein, er kehrt zurück. Mann, ist das ein Brummer! Scheint sich mit uns anzufreunden. Für ihn sind wir seltsame Fische, verstümmelte Kraken, Riesenfrösche. Der will wohl Küßchen geben? Ein schönes Bild, Heinz und der Hai, Mensch und Tier in freundschaftlichem Kontakt. Noch näher ran, jetzt habe ich sie beide drin! Die oben wer den Augen machen über diesen Streifen. Wenn sie mir diese Szene heraus schneiden, kapere ich mir die Meter und zeige sie in eigener Regie. Überhaupt kein schlechter Gedanke, den Abfall von hier abzuzweigen, zusammenzukleben und zu Hause als Film zu zeigen. Damit könnte man noch zusätzliche Kasse machen.
So ähnlich habe ich in dem Augenblick wirklich gedacht.
Aber für einen Film, der etwas einbringen soll, ist die Szene viel leicht doch zu langweilig. Es müßte etwas passieren, was die Leute fesselt, von den Sitzen reißt: Der Hai müßte angreifen. Heinz, das Messer zwischen den Zähnen, läßt ihn erst ein paarmal leerlaufen, vorbeistoßen wie einen wütenden Stier. Dann ein Zwinkern in die Kamera, und Heinz macht Ernst, schlitzt ihn auf. Wie der Hai sich wälzt, wie er zuckt, der große Fisch. Das Wasser färbt sich dunkelrot. Blut, das wollen sie sehen, dafür zahlen sie gut. Und dann der lachende Sieger, schweratmend taucht er am Boot auf, das Messer zwischen den Zähnen ...
Zähne hat der wie Messer!
Was denn? Warum läßt Heinz plötzlich die Kamera los? Filmspule zu Ende? Angst bekommen? Willst du etwa zum Riff zurückschwimmen? Dann reizt du ihn zum Angriff, und ich kann dir nicht helfen. Der Hai, Heinz, paß auf, der Hai! Er kommt von hinten, er greift an! Was soll ich machen? Achtung, deine Beine, er faßt zu! Um Gotteswillen, das Messer, Hilfe, dein Bauch, Blut, soviel Blut, Heinz, er macht dich kaputt, dieses Vieh macht ihn fertig, und ich kann nichts machen.
Ich weiß nicht mehr, was damals alles ablief in dem furchtbaren Moment.
Jedenfalls war es ein Schock und nicht, wie sie oben sagten, Nervenstärke, daß ich den Auslöser meiner Kamera bis zum Schluß betätigte. Es war gräßlich. Heinz war mein bester Freund. Ich habe lange gebraucht, um über die Sache hinwegzukommen.
Mit der Kamera mache ich nichts mehr, wenigstens vorerst nicht. Das Preisgeld, das sie mir für den Film gezahlt haben, interessiert mich nicht, obwohl ich es dringend nötig hätte. Vielleicht gebe ich es Heinz' Mutter.
Aber ob die es nimmt?