Abizeitung

Sonstige Berichte




In jede gute Klatschzeitung - äh... intelektuelle anspruchsvolle Zeitung - gehört ein Fortsetzungsroman. Deshalb darf er auch in diesem Medium nicht fehlen. Da das besondere an einem Fortsetzungsroman die Fortsetzung ist, müssen ein paar einleitende Worte über den Sinn dieser Aktion gesagt werden.
Um die Helden dieser Ausgabe nicht sterben zu lassen, folgt ein Appell an alle nachfolgenden Generationen, ihre kreative Ader als zweite Episode zu Papier zu bingen. Individuelle Änderungen und Widersprüche sind sogar erwünscht und erhöhen nur den Reiz von

Der Traum vom ABI

Der Elefant kam langsam auf ihn zu. Bedrohlich und etwas verschnupft senkte er seinen Rüssel, der mit unendlich vielen Naben übersät war. Woher er die ... Weiter konnte er nicht denken, da ein Moskito ihm gerade in das linke Ohr geflogen war. Verdammte Viecher, er mußte sich auf den Elefant konzentrieren.
Könnte er ihn hypnotisieren und dazu bringen, ihn zurückzutragen ? Anstrengend versuchte er ihm in die Augen zu schauen. Der Elefant aber wich seinem Blick aus, als ahnte er, wozu er mißbraucht werden sollte. Vielleicht war er aber auch nur schüchtern.
Das würde jedoch seinem übrigen Verhalten widersprechen, oder stampfen schüchtere Leute rücksichtslos über Fahrräder, zerquetschen wehrlose Gänseblümchen, die letzte verzweifelte und schrille Schreie von sich gaben, und versuchen, einem 18jährigen Schüler, der gerade vor dem Abitur stand, den Zitronentee wegzunehmen ?
Er sah ein, daß es so keinen Sinn hatte, er mußte sich einen anderen Weg einfallen lassen. Aber schnell ! Er konnte nämlich schon den nach Bananen und Nußecken stinkenden Atem des Tieres riechen. Bald würde der Geruch von Zitronentee noch hinzukommen.
Flucht, das war die einzige Möglichkeit, langsam bewegte er seinen Oberkörper und versuchte sich umzudrehen. Es ging nicht, er konnte seine Beine nicht mehr bewegen. Sie hafteten am Boden, wie festgeklebt, oder wie von einem überdimensionalen Magneten angezogen, oder wie gelähmt, oder wie festgehalten von unterirdischen Geistern, oder einfach zu faul, sich zu bewegen. Jetzt war alles zu spät. Er hatte schon einen Tropfen des schokoladigen Speichels des Elefanten ins Auge bekommen. Ganz benommen griff er noch dem rosa Frotteehandtuch, das links neben ihm an einer Liane hing - wobei er sich an dieser Stelle eigentlich hätte wundern müssen, weil kein passender Waschlappen dabei war - er griff also nach dem Handtuch und wischte sich den Speichel aus dem Auge. Danach mußte er das Handtuch erst einmal auswringen, da die Liane sich weigerte, ein klatschnasses, nach Speichel stinkendes Handtuch an sich aufhängen zu lassen.
Der Elefant nutzte den kurzen Augenblick der Unaufmerksamkeit und stürzte sich mit einem lauten Trompetenstoß, der eher wie de Remix von "Like a virgin" klang, auf den Zitronentee. Vor Schreck verlor er das Gleichgewicht, da seine Füße immer noch streikten - inzwischen steckten zwischen den Zehen sogar schon kleine Schilder mit Texten, die man nicht entziffern konnte - und schlug hart mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf ...
Der Elefant lachte. Er lachte richtig gehässig, wenn auch etwas heiser, was wahrscheinlich mit seinem Schnupfen zusammenhing, irgendwie klang das Lachen sogar wie eine Klasse voller Schüler ... Äh, Moment, das war eine Klasse voller Schüler und ein Lehrer noch dazu. Er schaute sich um und brauchte einige Zeit, um zu realisieren, daß er auf dem dreckig-weißen Fußboden seines Klassenzimmers lag und ca. 15 Schüler mit hämisch grinsenden Gesichtern zu ihm hinunterschauten.
Mit hochroten Kopf rappelte er sich auf und bemerkte, daß er sich nicht nur für alle Zeiten lächerlich gemacht hatte, sondern auch noch den Zitronentee über sein Gesicht geschüttet hatte. Von dort rannen ihm jetzt zwei kleine Bäche in den Nacken und über seine Brust, die immer noch keine Behaarung aufwies. Wahrscheinlich würden sie ihm auch noch in die Hose laufen und Flecken hinterlassen, die man leicht interpretieren konnte.
"Das kommt in die ABI-Zeitung ...", hörte er jemand leise neben sich flüstern. Natürlich, das war ja klar. Nun quälte er sich schon fast 13 Jahre durch die öffentliche Anstalt, gab sein bestes, um sich bei den wichtigen Schülern beliebt und bei den weniger wichtigen Lehrern unbeliebt zu machen, und dann sollte sein Ruf durch einen kleinen Ausrutscher - oder Hinfaller, wie man's nimmt - ruiniert werden ?
Nein, das würde er nicht zulassen. Er versuchte besonders cool und lässig lächelnd den Rest der Stunde 'rumzubringen und schlenderte, elegant in den Knien wippend, nach dem Klingeln aus der Tür. Dann begab er sich schnurstracks auf die Toilette, um in Ruhe nachzudenken.
Er schloß sich in einer Zelle ein, setzte sich auf die Schüssel und dachte nach. Schweiß rann ihm von der Stirn und vermischte sich mit dem schon fast getrockneten und leicht klebrigen Zitronentee. Der Geruch von hastig gerauchten Zigaretten der Watzen und die Hintergrundmusik gleichmäßigen Klatschens und leise gemurmelten Schimpfwörtern lenkten ihn ab, so daß er beschloß, mit dem Denken bis nach der Pause zu warten und sich erst einmal zu erleichtern.
Nach dem Klingeln wurde es angenehm ruhig. Etwas störend war zwar noch der Geruch und der Gedanke, daß er gerade eine Matheklausur schreiben sollte, aber dann würde er eben nachher gleich zum Arzt gehen und sagen, daß ihm schlecht wäre. Das wäre im Augenblick sogar nicht einmal gelogen, naja, fast nicht, da die Schultoiletten ein Ort sind, an dem einem wirklich schlecht werden kann. Jetzt mußte er sich aber wirklich konzentrieren. Es ging um seinen Ruf, sein Image, seine Zukunft, ja, sein Leben. Es war ihm klar, daß ihm etwas Schreckliches passiert war, was die anderen wochen-, nein monatelang ausbreiten und fettgedruckt in die ABI-Zeitung setzen würden. Er mußte das verhindern. Aber wie ? Die ABI-Zeitung boykottieren ? Die Schule wechseln ? Den Jahrgang verlassen ? .. Den Jahrgang verlassen, das war's, dann wäre er auch nicht mehr in der ABI-Zeitung und sein makelloses Aussehen würde wieder zu seinem Ruf passen. Aber wie sollte er den Jahrgang verlassen ? Er konnte doch nicht einfach ein Jahr jünger werden ...
Plötzlich richtete er sich auf. Die Falten seiner immer noch um die Knöchel hängenden Jeans schienen gespannt zu ihm aufzublicken und das Rauschen in den Rohren hörte für einen Moment auf, nur um die Spannung nicht zu unterbrechen. Selbst der kalte Rauch stand für einen Moment still, um seinen aufkommenden Gedanken nicht zu erschrecken und in die Flucht zu schlagen ...
Er hatte die Lösung. Es war so klar und deutlich. Außerdem so einfach. Er wunderte sich, daß er daran nicht schon bei anderer Gelegenheit gedacht hatte. Er würde einfach durchs ABI fallen. Dafür mußte er sich sogar überhaupt nicht anstrengen, würde den Jahrgang verlassen, und der Schandfleck nicht in der ABI-Zeitung erscheinen. Über Durchfaller schreibt man nur gute Sachen, falls sie überhaupt erwähnt werden. Erleichtert zog er sich an, verließ die Toilette und beschloß doch zur Matheklausur zu gehen, um schon mal mit dem Durchfallen anzufangen ...

Fortsetzung folgt !!?

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